Biopsychosoziale Risikofaktoren

Biopsychosoziale Risikofaktoren

PSA12: Biopsychosoziale Risikofaktoren und Mechanismen bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen im Leistungssport und der Allgemeinbevölkerung (Bochum/Köln)

Monika Hasenbring1, Jens Kleinert2, Johanna Belz2, Inga Boldt2, Jahan Heidari3, Claudia Levenig1, Tobias Mierswa3, Ida Ott2, Sarah Schomberg3, Kerstin Wenge2, Michael Kellmann3,4 

1Ruhr-Universität Bochum, Abt. Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
2Deutsche Sporthochschule Köln, Abt. Gesundheit & Sozialpsychologie
3Ruhr-Universität Bochum, Lehr- und Forschungsbereich Sportpsychologie
4The University of Queensland, Brisbane, Australien, School of Human Movement Studies and School of Psychology

Einleitung & Problemstellung

Biopsychosoziale Risikofaktoren und Mechanismen spielen eine zentrale Rolle bei der Genese von nicht-spezifischen Rückenschmerzen1,2. In diesem Zusammenhang konnten Studien Unterschiede zwischen Sportlern und Nicht-Sportlern hinsichtlich der Schmerzverarbeitung und dem Umgang mit Rückenschmerz nachweisen3,4. Daher untersuchte die vorliegende Quer- und Längsschnittstudie biopsychosoziale Risikofaktoren und Mechanismen bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen im Vergleich von Leistungssportlern (LS) mit der Allgemeinbevölkerung (AB).

Methodik

Die Stichprobe setzte sich aus 264 Rückenschmerzpatienten zusammen, die sich in sport- oder physiotherapeutischer Behandlung befanden. Es erfolgte eine Einteilung in LS (n = 172) und AB (n = 92), basierend auf Kriterien zum Trainingsumfang und Leistungsniveau. Mittels eines standardisierten Fragebogens wurden folgende Variablen zu t0 (Querschnitt) und sechs Monate später zu t1 (Längsschnitt) erfasst:

  • Schmerzen und Beeinträchtigung durch Rückenschmerz
  • Bewegungsverhalten und Therapieformen
  • Schmerzverarbeitung
  • Erholung und Beanspruchung
  • motivationale Aspekte
  • Körperwahrnehmung und Körperkonzept

Ergebnisse

Querschnittstudie:

LS zeigten gegenüber der AB bei gleicher Schmerzintensität eine geringere Arbeitsbeeinträchtigung durch den Rückenschmerz. LS berichteten eine höhere allgemeine und soziale Erholung bei vergleichbarer Rückenschmerzintensität im Vergleich zur AB. Im Hinblick auf die gesamte Stichprobe gingen Unterschiede in der Schmerzverarbeitung mit unterschiedlichen Erholungs- und Beanspruchungswerten einher. So wiesen die Schmerzverarbeitungsgruppen mit einer negativ affektiven Ausprägung (ängstliche Vermeider (FAR), depressive Durchhalter (DER)) höhere Beanspruchungswerte und geringere Erholungswerte auf als Patienten mit positiv affektiver Schmerzverarbeitung (positive Durchhalter (EER), Adaptive (AR))5,6. Es konnten vier unterschiedliche motivationale Profile unter Patienten mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen ermittelt werden: zwei eher autonom motivierte Profile und zwei wenig bis kontrolliert motivierte Profile. Personen, die im Sport eine hohe Bedürfnisbefriedigung (Autonomie, Kompetenz, Beziehung) erfahren, sahen in der Bewegungstherapie einen höheren Nutzen und identifizierten sich stärker mit ihr als Personen mit niedriger sportbezogener Bedürfnisbefriedigung7. Der akute bzw. der habituelle Rückenschmerz konnte in geringem Umfang durch die Körperwahrnehmung bzw. das Körperkonzept vorhergesagt werden.

Längsschnittstudie:

Unterschiede in der Erholungs-Beanspruchungsbilanz wirkten sich auf den Genesungsverlauf bei Rückenschmerzpatienten aus. Patienten mit einer hohen Erholung und niedrigen Beanspruchung zu t0 zeigten tendenziell eine stärkere Abnahme in der Schmerzintensität über den Verlauf von sechs Monaten als Patienten mit einer geringen Erholung und hohen Beanspruchung. Daneben zeigten DER-Patienten signifikant höhere Schmerzintensitäten und Beeinträchtigungswerte als alle anderen Schmerzverarbeitungsmuster. FAR-Patienten hatten zu t0 zwar ein niedrigeres Schmerzniveau als DER-Patienten, verzeichneten aber bis zum Follow-up keine Besserung. Bis zum Follow-up nach sechs Monaten wiesen lediglich Patienten mit einem EER- und einem AR-Muster einen signifikanten Schmerzrückgang auf. 

Diskussion

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Sportler weniger Beeinträchtigungen durch Rückenschmerz erfahren als Nicht-Sportler. Mögliche Erklärungsansätze gehen von einer höheren Schmerztoleranz bei Sportlern3, sowie sportspezifischen Sozialisierungsprozesse aus. Hohe Erholungs- und niedrige Belastungswerte führten zu einer Verringerung der Schmerzintensität von t0 zu t1 Dies könnte darin begründet liegen, dass eine ausgeglichene Erholungs-Beanspruchungsbilanz funktionale psychologische und physiologische Prozesse initiiert. Zusätzlich erwiesen sich eine positive Einstellung und eine adaptive Herangehensweise an den Schmerz als effektive Copingstrategien. Nichtsdestotrotz zeigten sich innerhalb der AB die DER und FAR-Patientinnen und Patienten als problematisch hinsichtlich hoher Beeinträchtigungen, sowohl im Quer- als auch im Längsschnitt. Zukünftige Studien sollten die zugrundeliegenden Prozesse eingehender beleuchten, um die gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis zu implementieren.

Statement

Schmerzen scheinen bei Sportlern mit weniger arbeits- und alltagsspezifischen Beeinträchtigungen einherzugehen als bei Nicht-Sportlern. Ausreichende Erholung bei gleichzeitig niedriger Belastung wirkt sich positiv auf die Schmerzintensität aus. Auf kognitiver Ebene erweist es sich für den Schmerzverlauf als günstig, den Schmerzen positiv zu begegnen und ein gesundes Maß aus Schmerzvermeidung und –erduldung zu finden.

Literatur

  1. Linton SJ. A review of psychological risk factors in back and neck pain. Spine. 2000;25(9):1148-1156.
  2. Gatchel RJ, Peng YB, Peters ML, Fuchs PN, Turk DC. The biopsychosocial approach to chronic pain: scientific advances and future directions. Psychol Bull. 2007;133(4):581-624.
  3. Tesarz J, Schuster AK, Hartmann M, Gerhardt A, Eich W. Pain perception in athletes compared to normally active controls: a systematic review with meta-analysis. Pain. Jun 2012;153(6):1253-1262.
  4. Azevedo DC, Samulski DM. Assessment of psychological pain management techniques: a comparative study between athletes and non-athletes. Revista Brasileira de Medicina do Esporte. 2003;9(4):214-222.
  5. Scholich SL, Hallner D, Wittenberg RH, Hasenbring MI, Rusu AC. The relationship between pain, disability, quality of life and cognitive-behavioural factors in chronic back pain. Disabil Rehabil. 2012;34(23):1993-2000.
  6. Titze C, Levening C, Kleinert J, Wenge K, Ott I, Mierswa T, Hasenbring MI. Athletes and non-athletes with back pain: do they differ with respect to pain coping? Poster, presented at the 15th World Congress on Pain, Oct 6- Oct 11, 2014, Buenos Aires, Argentina
  7. Kleinert J, Ott I, Hasenbring MI, Mierswa T, Levenig C, Kellmann M. Patient profiles of autonomous and controlled motivation in exercise therapy of non-specific back pain, in preparation.

Kontaktadressen

Prof. Dr. Monika Hasenbring
Abt. Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
Fakultät Medizin
Ruhr-Universität Bochum
Universitätsstr. 150
44780 Bochum
+49 (0) 234 32 25439
Monika.Hasenbring@rub.de

Prof. Dr. Jens Kleinert
Abt. Gesundheit & Sozialpsychologie Psychologisches
Institut Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
+49 (0) 221 4982 5490
Kleinert@dshs-koeln.de

Prof. Dr. Michael Kellmann
Lehr- und Forschungsbereich Sportpsychologie
Fakultät für Sportwissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
Gesundheitscampus Nord, Haus 10
44801 Bochum
+49 (0) 234 32 28448
michael.kellmann@rub.de