HWS-Bewegungsvariabilität

HWS-Bewegungsvariabilität

PSA7: Diagnostik der Variabilität der HWS-Bewegung: Item-Trennschärfe bei Patienten mit chronisch-idiopathischen Nackenschmerzen (Frankfurt/Main)

Daniel Niederer1, Lutz Vogt1, Jan Wilke1, Marcus Rickert2 & Winfried Banzer1

1Abteilung Sportmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2Abteilung für Wirbelsäulenorthopädie an der Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim Frankfurt am Main

Einleitung & Problemdarstellung

Patienten mit chronisch-unspezifischen Nackenschmerzen (CNP) weisen Studien zufolge gegenüber symptomfreien Probanden eine verminderte Beweglichkeit der Zervikalregion sowie eine erhöhte Bewegungsvariabilität auf. Demgegenüber nimmt bei symptomfreien Personen das Bewegungsausmaß der Halswirbelsäule mit zunehmendem Alter ab und die Bewegungsvariabilität zu. Ziel der Studie ist die Entwicklung und Validierung klassifikatorischer Modelle zur Diskriminierung von symptomatischem und asymptomatischem zervikalem Bewegungsverhalten.

Methodik

Symptomfreie Probanden (120) wurden konsekutiv der Modellentwicklung (n= 100, 18–75 J., 36♀) bzw. der Modellvalidierung zugeteilt (n= 20, 23–75 J., 15♀). Zusätzlich wurden zur Modellvalidierung ebenfalls 20 CNP-Patienten eingeschlossen (22–71 J., 15♀). Alle Probanden absolvierten 3D-ultraschalloptometrische Messungen kinematischer HWS-Charakteristika (Bewegungsausmaß (ROM), Variationskoeffizient (CV), Nebenbewegungen (NEB)) (Abbildung 1).

Abbildung 1: Exemplarische Darstellung 5 maximaler Bewegungsamplituden in Flexion/Extension (Sagittalebene, Maximum= ROM) sowie Nebenbewegungen in Rotation (Transversalebene, Maximum= ROT) und Lateralflexion (Frontalebene, Maximum = LAT). ROT + LAT = NEB; ≥ 0° ≙ Flexion; ≤ 0° ≙ Extension.

Im Anschluss erfolgte die Erstellung linearer Regressionsmodelle zur Bestimmung altersabhängiger Cut-Offs. Zur Modellvalidierung wurden die 20 Symptomfreien und 20 CNP anhand der determinierten Cut-Offs in die Gruppen ‘asymptomatisch’ oder ‘symptomatisch’ stratifiziert und die Zuteilung mittels Vierfeldertafeln bewertet.

Ergebnisse

Alle Modelle wiesen einen gerichteten linearen Zusammenhang zwischen Alter und dem jeweiligen kinematischen Charakteristikum auf.

Die Kreuztabellen zeigten überzufällige Unterschiede zwischen erwarteter und  beobachteter Häufigkeits-verteilung für ROM (Chi2=6,8; p<,01) und CV (Chi2=6,42; p<,05), nicht jedoch für NEB (p>,05). Die Modelle mit überzufälliger Merkmals-verteilung ergaben (ROM bzw. CV) eine Sensitivität von 60 % bis 75 % und eine Spezifität von 85 % bzw. 65 % (Abbildung 2).

Abbildung 2: Receiver-operating characteristic (ROC) Kurven inkl. statistischer Kenngrößen.. AUC= Fläche unter der Kurve, ROM= range of motion in sagittal plane, CV= Variationskoeffizient, CM= Nebenbewegungen

Diskussion

Die Resultate demonstrieren sowohl einen linearen Zusammenhang von Alter und verschiedener kinematischer Charakteristika als auch eine ausreichende Trennschärfe für die Modelle ROM und CV in der Differenzierung von CNP und Symptomfreien. Die Resultate vorliegender Studie sind einerseits im Einklang mit anderen – kategorisierenden – Studienresultaten und ergänzen andererseits – durch die Erstellung und Bewertung trennscharfer Klassifikatoren – den aktuellen Forschungsstand konsekutiv. Die Trennschärfe-Indizes bewegen sich dabei in vergleichbarer Größenordnung wie andere (subjektive) Klassifikatoren (z.B. Schmerzstärke) zur Einordnung von Nackenschmerzpatienten. Zur individuellen Probandenbeurteilung für Studieneinschlüsse und Therapiegestaltung aber auch für prospektive Vergleiche sind valide Einordnungskriterien bedeutsam und bieten gegenüber kategorisierenden Gruppenwerten verlässlichere Klassierungen. Zukünftige Forschungsaktivitäten sollten die Anwendbarkeit der Klassifikatoren für Diagnose- und Interventionsstudien überprüfen.

Statement

Die Klassifikatoren bieten eine objektive und im klinischen Alltag anwendbare Ergänzung/Erweiterung zu herkömmlichen Diagnostiken mit singulär subjektiven Aussagen wie bspw. Schmerzsymptomatiken.

Literatur

Uthaikhup S, Jull G. Performance in the cranio-cervical flexion test is altered in elderly subjects. Man Ther. 2009;14(5):475-9.

Vogt L, Segieth C, Banzer W, Himmelreich H. Movement behaviour in patients with chronic neck pain. Physiother Res Int 2007; 12: 206–12

Kontaktadresse

Dr. Daniel Niederer
Goethe-Universität Frankfurt – Institut für Sportwissenschaft – Abteilung Sportmedizin
Ginnheimer Landstraße 39
60487 Frankfurt am Main