Interventionsprogramme im Leistungssport

PSB3: Entwicklung und Effizienzüberprüfung von zielgruppenspezifischen Interventionsprogrammen unter Einbindung von Expertenwissen aus dem Leistungssport und der Allgemeinbevölkerung

Ralf Dietrich, Maria Moreno Catalá, Willi Rinke & Adamantios Arampatzis

Humboldt Universität Berlin –  Institut für Sportwissenschaft / Abteilung Trainings- und Bewegungswissenschaften

Einleitung & Problemstellung

Interventionsprogramme mit dem Schwerpunkt Rumpfstabilitätstraining, konnten im Bereich Rehabilitation Verbesserung der Kraftfähigkeiten und Verringerung von Rückenschmerzen nachweisen (1,2). Eine direkte Übertragung dieser Effekte auf den leistungsorientierten Sport ist jedoch schon aufgrund der unterschiedlichen Bewegungsanforderungen nicht gegeben (1,3).

In der hier vorgestellten Interventionsstudie wird versucht, die Effizienz von angepassten gruppenspezifischen Interventionen, basierend auf Pertubationsübungen, zur Prävention und Rehabilitation von Rückenbeschwerden im Spitzensport zu untersuchen. Ziel dieser Studie ist der Nachweis von praxisnahen Dosis-Wirkungs-Beziehungen, die durch ein Rumpfstabilitätstraining für den Bereich des Spitzensports erreicht werden können.

Die Studie umfasst einen Untersuchungszeitraum von 2 Jahren. Als Probanden konnten zwei Bundesligamannschaften gewonnen werden, ein Hockey- und ein Rugby-Team. Alle Messungen wurden vor Ort bei den beteiligten Vereinen durchgeführt. Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen, da die Interventionen noch bis zum August 2018 laufen.

Methoden

Die hier vorgestellte Interventionsstudie erstreckt sich über einen Zeitraum von zwei Jahren (Abb.1). Die einzelnen Messphasen werden im Abstand von 4 Monaten wiederholt. Im ersten Jahr wird eine Leistungsdiagnostik durchgeführt, die parallel zum üblichen Mannschaftstraining stattfindet. Im zweiten Jahr beginnt die Intervention in Form eines Core-Stability-Trainings, das von beiden Teams zweimal in der Woche für 20 Minuten absolviert wird.

Abb. 1   Studiendesign – Interventionsstudie PSB-3

An der Untersuchung nehmen zwei Bundesligamannschaften (Herren) aus den Sportarten Rugby und Hockey teil. Die Anzahl der Probanden aus beiden Teams beträgt 55 Spieler (Alter: 24,6 ± 5,6 Jahre / Gewicht: 81,9 ± 11,8 Kg / Größe: 1,82 ± 0,058 m).

Diagnostik

Zur Bestimmung der maximalen Kräfte des Rumpfes wird ein mobiles Kraftmessgerät eingesetzt, dass im Rahmen des MiSpEx-Projekts PSC 1 (Transfer von diagnostischen Markern auf Feldbedingungen) entwickelt und evaluiert wurde (Abb.2).  Durch Veränderung der Sitzposition können sowohl die maximalen Extensions- als auch die Flexionskräfte gemessen werden.

      

Abb. 2 mobiles Kraftmessgerät                                              Abb. 3 Messung der dynamischen Stabilität

Die kinematische Untersuchung umfasst Messungen zur Rumpfbeweglichkeit, Bewegungskoordi­nation und zur dynamischen Stabilität des Rumpfes. Die Rumpfbeweglichkeitsuntersuchungen werden für die maximale Rumpfbeuge (Flexion) und maximale Rumpfextension durchgeführt. Die Orientierungen des Rumpfes für die Wirbelsäulenpositionen T1, L1 und S1 werden mit dreidimensionalen Beschleunigungssensoren (ACC) (Biovision, Wehrheim) erfasst. Dabei werden die ACCs für alle drei Koordinatenachsen auf 1 g skaliert. Die Daten werden mittels einer Datenlogger-Box (Biovision, Wehrheim), die mit einer Auflösung von 24-bit und einer Abtastfrequenz von 1000Hz arbeitet, aufgenommen.

Die Bewegungsstrategie bei der maximalen Rumpfflexion wird mit der Methode des Lumber-Pelvic-Ratio (LPR) erfasst. Dabei wird der Verlauf der Beckenorientierung und der Lendenwirbelsäule in der Bewegungsebene aufgezeichnet und deren Verhältnis zueinander ausgewertet (4,5). Die Sensoren sind dabei an den Positionen T12/L1 (Lendenwirbelsäule, LWS) und unterhalb S1 (Pelvis) angebracht.

Die Messung der lokalen dynamischen Stabilität des Rumpfes, auffassbar als Stabilität ähnlicher Systemzustände kann über den maximalen Lyapunov Exponenten aus Zeitreihenanalyse gewonnen werden (6). Die eindimensionale Zeitreihe setzt sich aus der Überlagerung von drei Bewegungen zusammen:  Rotation um die Längsachse, Seitneigung und Flexion des Rumpfes.

Für die Bestimmung des Delays zur Auswertung der maximalen Lyapunov-Exponenten wurde der Algorithmus von Fraser und Swinney (7) benutzt. Die Dimension des Vektorraumes wird über den Prozentsatz ‚falscher Nachbarn‘ (kleiner gleich 1 Promille) nach Kennel et al (8) berechnet. Der maximale Lyapunov Exponent  als Maß für die lokale dynamische Stabilität wurde anschließend mit dem Algorithmus von Rosenstein (9)  berechnet. Er beschreibt die durchschnittliche logarithmische Divergenz sich initial naher Trajektorien im Phasenraum. Je kleiner also der Wert von  desto stabiler reagiert das System lokal auf kleine Abweichungen oder Perturbationen.

Bei den Messungen zur dynamischen Stabilität haben die Probanden die Aufgabe, mit den Fingern nacheinander 4 Markierungen zu treffen (Abb.3). Dabei werden die beiden Markierungen einer Seite mit der jeweils entgegengesetzten Hand berührt. Diese Bewegungsabfolge wird 30-mal wiederholt. Die Bewegungsgeschwindigkeit liegt bei 6 Sekunden pro Zyklus. Dieses langsame Bewegungstempo wird vor der Messung mittels eines Metronoms geübt. Während der Messung (3 Minuten) werden keine akustischen Signale gegeben, um die Bewegung nicht durch äußere Zwangsbedingungen zu stören. Bei starken Abweichungen (dt>1s/Zyklus) von der Referenzgeschwindigkeit erhält der Proband einen Hinweis, um seine Bewegungsgeschwindigkeit wieder anzupassen.

Der Versuch wird zweimal durchgeführt. Ein Versuch wird auf einer stabilen Unterlage (Gymnastikmatte), ein weiterer Versuch wird auf einem instabilen Untergrund ausgeführt. Der Proband kniet dabei während der Bewegungen auf einem Schaumstoffpad (Höhe 12cm). Die Reihenfolge der Versuche (stabil/instabil) wird randomisiert. Als Auswerteparameter werden sowohl die maximalen Lyapunovexponenten der beiden Bedingungen als auch die Differenz der beiden Exponenten zwischen dem stabilen und dem instabilen Versuch benutzt.

Zur Erfassung der Rückenschmerzen werden zwei Fragebogen eingesetzt. Der erste ist der KORFF-Fragebogen (10) und der zweite ist eine auf Spielsportarten modifizierter Standard Nordic Questionaire (11). Durch beide Fragebogen können Aussagen über die Prävalenz, die Intensität und die Beeinträchtigung durch Rückenschmerzen abgeleitet werden.

Intervention

Die Intervention startet im zweiten Jahr der Untersuchung. Schwerpunkt ist die Verbesserung der Rumpfstabilität. Dazu wurde ein spezifisches Stabilitäts-Traingsprogramm entworfen, dass auf der Grundlage von sensorischem Rauschen, Kraft- und Koordinationsübungen unter instabilen Bedingungen (kontinuierliche Pertubationen) präferiert.

Der Trainingsumfang beträgt zweimal 20 Minuten pro Woche über einen Zeitraum von einem Jahr. Dies entspricht dann, je nach Trainingsbetrieb etwa 100 Trainingseinheiten Das Training wird von den jeweiligen Spielerttrainern in den üblichen TE-Ablauf integriert und durchgeführt. Die jeweiligen Übungen werden über eine HU-Cloud auf fünf zur Verfügung gestellten Tablets übertragen und liegen als Bewegungskarten für die Spieler an jeder Übungsstation. Auf diesen Karten sind die einzelnen Übungen beschrieben. Sie sind mit Abildungen versehen und haben einen Vermerk für die wichtigen Bewegungsmerkmale/Positionen (Abb. 4)

Abb. 4 – Übungskarte an einer Station

Das Training ist im Stationsbetrieb organisiert. Es werden 5 Stationen vorbereitet, die mit jeweils 3 Paaren besetzt sind. Die Belastungsdauer beträgt 1 min. Dann ist Partnerwechsel, d.h. die Belastungsdichte ist 1. Eine wichtige Funktion kommt dem Partner zu, der gerade keine Übung durchführt. Er hat die Aufgabe, den Übenden zu korrigieren, um eine hohe Bewegungsqualität sicher zu stellen.

Um einen hohen Grad an variablen Bedingungen (große Anzahl von Freiheitsgraden) zu gewährleisten, werden den beiden Teams unterschiedliche Geräte zur Verfügung gestellt. Dazu gehören: Pezzibälle, Schaumstoff-Pads, Bosu-Bälle. Balance-Pads, Medizinbälle, Sling-Trainer und Slashpipes. Um den organisatorischen Aufwand gering zu halten, werden jeweils zwei Geräte über einen Zeitraum von 3 Wochen eingesetzt. Dann wird ein Gerät ausgetauscht.

Projektstand (August 2017)

Die Diagnostik des ersten Jahres für beide Teams umfasste 3 Messzyklen. Ein grundlegender Befund ist die hohe Prävalenz bzw. Erfahrung mit Rückenschmerzen. 72,9% der Hockeyspieler und 87,6% der Rugbyspieler gaben an, schon Erfahrung mit Rückenschmerzen gemacht haben. Die Intensität der Schmerzen während der letzten 3 Monate wurden für Hockey mit 14,2% und für Rugby mit 23,9% der maximal vorstellbaren Schmerzen angegeben.

Für die physiologischen Parameter zeigen sich konsistente Ergebnisse über die untersuchten Messphasen. Zwischen den Sportarten zeigen sich jedoch zum Teil deutliche Unterschiede. So ergeben sich beispielsweise für die bislang durchgeführten Messungen keine Unterschiede für die maximale Rumpfflexion (Rugby[grad]: 105,6±13,1 / Hockey: 106,9±14,6), der Anteil der LWS ist bei den Hockeyspielern signifikant höher (Rugby: 49,8±13,1 / Hockey: 55,8±12,2 ; p<0,001), während der Anteil der Beckenbewegung an der Gesamtbewegung zwischen den Gruppen nicht signifikant unterscheidet (Rugby: 55,8±15,8 / Hockey: 51,2±15,3; p>0,05).

Die Quantifizierung der dynamischen Rumpfstabilität zeigt für die beiden Durchführungs­modalitäten signifikante Unterschiede, d.h. eine Trennung von stabilen und instabilen Rumpfbewegungen ist mit dieser Methode möglich.

Literatur

  1. Hibbs AE, Thompson KG, French D, Wrigley A (2008), Spears I. Optimizing performance by improving core stability and core strength. Sports Med. 2008;38(12):995-1008.
  2. Panjabi, M. M. (2003). Clinical spinal instability and low back pain. Journal of Electromyography and Kinesiology 13 (4), 371–379.
  3. Stuber KJ, Bruno P, Sajko S, Hayden J a (2014), Core Stability Exercises for Low Back Pain in Athletes: A Systematic Review of the Literature. Clin J Sport Med. 2014;0(0):1-9.
  4. Esola MA1, McClure PW, Fitzgerald GK, Siegler S. (1976), Analysis of lumbar spine and hip motion during forward bending in subjects with and without a history of low back pain, Spine (Phila Pa 1976). 1996 Jan 1;21(1):71-8.
  5. Pries E, Dreischarf M, Bashkuev M, Putzier M, Schmidt H. (2015), The effects of age and gender on the lumbopelvic rhythm in the sagittal plane in 309 subjects, J Biomech. 2015 Sep 18;48(12)
  6. Graham, R. B., Costigan, P. A., Sadler, E. M. & Stevenson, J. M. (2011). Local dynamic stability of the lifting kinematic chain. Gait & Posture 34 (4), 561–563.
  7. Fraser, A. M. & Swinney, H. L. (1986). Independent coordinates for strange attractors from mutual information. Phys. Rev. A 33 (2), 1134–1140.
  8. Kennel, M. B., Brown, Reggie, A. & Henry D. I. (1992). Determining embedding dimension for phase-space reconstruction using a geometrical construction. Phys. Rev. A 45 (6), 3403-3411.
  9. Rosenstein,M. T., J. J. Collins and C. J. De Luca (1993),A practical method for calculating largest Lyapunov exponents from small data sets,Physica D 65 (1993) 117-134
  10. von Korff, M., J. Ormel, et al. (1992). „Grading the severity of chronic pain.“ Pain 50: 133;49.
  11. Tunås et al (2015), Low back pain in female elite football and handball players compared with an active control group, Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc (2015) 223:2540-2547

Kontaktadresse

Prof. Dr. Adiamantios Arampazis / Dr. Ralf Dietrich / Dr. Maria Moreno Humboldt-Universität Berlin – Institut für Sportwissenschaft (Abt. Trainings- und Bewegungswissenschaften Philippstr. 13

10115 Berlin