MSB – Machbarkeitsstudie B

MSB – Machbarkeitsstudie B

F. Mayer (Universität Potsdam), N. Streich (Universitätsklinikum Heidelberg), P. Kasten (Universitätsklinikum Dresden), C. Schneider (Schön Klinik München Harlaching), W. Banzer (Goethe-Universität Frankfurt/Main)

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Einleitung & Problemdarstellung

Meist werden Defizite bei Rückenschmerzen auf neuronaler, muskulärer und/oder struktureller Ebene für die Beschwerdeentstehung und -persistenz genannt. Darüber hinaus sind psychische und psychosoziale Einflussfaktoren evident. Körperliches Training zeigt in der Prävention und Rehabilitation oftmals eine hohe Effizienz, allerdings bleibt für den Einzelfall unklar, welche Dosis-Wirkung zu struktureller und funktioneller Anpassung führt und letztlich tatsächlich eine Risiko- und Beschwerdeminderung erreicht (1,2,3). Unklar ist derzeit, in wie fern ein sensomotorisches Training bzw. eine Kombination aus einem sensomotorischen Training (SMT) mit verhaltenstherapeutischen Modulen (SMT+VT) zur Beschwerdereduktion, zur Optimierung funktionaler Kenngrößen der Belastbarkeit sowie zur Risikoreduktion von CURS eingesetzt werden können (1,4).

Ziel der Studie ist die Überprüfung der Machbarkeit einer randomisierten, kontrollierten klinischen Studie (RCT) im Multicenterdesign zur Validierung einer präventiven und therapeutischen Intervention (SMT, SMT/VT) unter dem Fokus der Risiko- und Beschwerdereduktion von chronisch unspezifischen Rückenbeschwerden im Spitzensport und in der Allgemeinbevölkerung.

Methodik

Studiendesign: Die Untersuchung erfolgt als randomisierte, kontrollierte klinische Studie (RCT) im Multicenterdesign. Die Intervention wird im Längsschnitt, parametrisiert über die isolierte Adaptation und das Wechselspiel muskulärer und neuronaler Strukturen sowie die Schmerzwahrnehmung evaluiert. Trainingsmaßnahmen für den Rumpf, alleine und in Kombination mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, werden im Vergleich mit einer unbehandelten Kontrollgruppe analysiert. Die Interventionszeit beträgt 12 Wochen (center-based (3 Wochen) und home-based (9 Wochen), der Gesamtbeobachtungszeitraum zur Beurteilung der Nachhaltigkeit 24 Wochen.

Probandenrekrutierung: Die Probanden werden in den 5 bundesweiten Studienzentren rekrutiert. Eingeschlossen werden Personen aus der Allgemeinbevölkerung und dem Spitzensport mit und ohne Rückenschmerzen. Die Einschlusskriterien beinhalten: beiderlei Geschlecht, ein Alter von 18-65 Jahre, Proband versteht deutsch in Wort und Schrift und der Proband kann selbständig einen  digitalen Fragebogen beantworten. Als Ausschlusskriterien sind definiert: akuter Infekt; Schwangerschaft; nicht vorhandene „Stehfähigkeit“; nicht in der Lage sich selbständig aus einer liegenden Position in den Stand zu bewegen; Unfähigkeit alleine einen Fragebogen auszufüllen; Erkrankungen, aufgrund derer körperliche Aktivität kontrainduziert ist; bestehende Schmerzen am Rücken bei Studieneinschluss, die innerhalb der letzten 7 Tage (akut) aufgetreten sind; bisherige/weitere Teilnahme an anderen MiSpEx-Studien.

Die 3 Interventionsgruppen sind wie folgt definiert:

  1. Kontrollgruppe (KG): keine Intervention
  2. Interventionsgruppe 1 (SMT, unimodal): sensomotorische-/kräftigende Trainingsübungen für den Rumpf. Die Intervention erfolgt 3-mal pro Woche über 12 Wochen mit der Dauer von jeweils 45 Min.
  3. Interventionsgruppe 2 (SMT+VT, multimodal): sensomotorische-/kräftigende Trainingsübungen für den Rumpf + Verhaltenstherapeutische Maßnahmen. Die Intervention erfolgt 3-mal pro Woche über 12 Wochen mit der Dauer von jeweils 45 Min.

Primäre Endpunkte (HZK1):

  1. Rückenschmerz: Erfassung über den Schmerzfragebogen von Korff unter Berechung der Korff Grade (0-4).
    Messzeitpunkte: vor Intervention(M1), nach 3(M2), 6(M3), 12(M4) und 24 Wochen(M5)

Sekundäre Endpunkte (HZK2):

  1. Rückenschmerzhäufigkeit (n) in den letzten 3 Monaten (Fragebogen)
  2. posturale Kontrolle: Erfasst im Einbeinstand auf einer Bodenreaktionskraftmessplatte über den Center of Pressure (COP, [mm]) und über den Star Excursion Balance Test (Y-Test)
  3. komplexe (sportmotorische) Leistungsfähigkeit bei Sprüngen (Fz, [N]; Sprungdauer, [ms])
  4. Rumpfkraft: isokinetische maximale Rumpfkraftbestimmung [Nm] und normalisiert auf das Körpergewicht Nm/kg BW]
  5. Ermüdung: Erfassung über die Sprungkraftveränderung (Fz) vor/nach Ermüdung
    Messzeitpunkte: Vor Intervention, nach 3, 6, 12 und 24 Wochen

Moderierende Faktoren:

  1. Trainingszustand, 2. Schmerzerleben, 3. psychophysischer Stress, 4. Lebenskontext, 5. Versorgungskontext

Statistik:

Nach Plausibilitätskontrolle wurde eine multiple Imputation der „Missing Values“ durchgeführt (Verfahren bei HZK1, 2: AMELIA in R). Es erfolgte eine deskriptive (Mittelwert ± SD) und hypothesenprüfende Statistik (u.a.: Chi2, ANOVA (α=0,05); JMP 9).

Ergebnisse

Von 725 in die Studie eingeschlossenen Probanden konnten nach Imputation 480 der Auswertung im Längsschnitt zugeführt werden (Geschlecht m/w: 194/286, Alter 39±14, Größe 173±9, Gewicht 72±14). Randomisiert in die 3 Gruppen (KG, SMT, SMT+VT) führt dies zu den folgenden Gruppencharakteristika:

  • KG: Geschlecht m/w: 51/79, Alter 33±13, Größe 172±9, Gewicht 70±14
  • SMT: Geschlecht m/w: 69/96, Alter 41±13, Größe 173±9, Gewicht 72±15
  • SMT+VT: Geschlecht m/w: 74/93, Alter 42±13, Größe 174±10, Gewicht 74±14

Über die center-based (M1-M2) und home-based (M1-M4) Phase reduziert sich die Anzahl an Personen mit starken Rückenschmerzen Korff Grad ≥2 und erhöht sich mit keinen bzw. geringen Rückenschmerzen Korff Grad ≤1. Der Korff Grad reduziert sich in den Interventionsgruppen gegenüber der Kontrollgruppe nicht statistisch signifikant (p>0,05).

Variablen der neuronalen Adaptation (HZK2: posturale Kontrolle; Sprungleistungsfähigkeit; Rumpfkraft) weisen zwischen den Untersuchungsgruppen unterschiedliche Ausgangsniveaus auf (p<0,05). Es zeigen sich Interventionseffekte für SMT und SMT+VT in der neuronalen Adaptation (p<0,05). Abb. 1 zeigt beispielhaft die maximale isokinetische Rumpfkraft (Extension) in den Untersuchungsgruppen über die Messzeitpunkte M1, M2 und M4.

Interventionsgruppe_Messtag

Abb. 1: Maximale isokinetische Rumpfkraft in der Extension (normiert auf das Körpergewicht (BW); Nm/kg BW) in den drei Untersuchungsgruppen (KG; SMT+VT; SMT) nach Messzeitpunkt (M1: Baseline, M2: nach center-based Phase, M4: nach home-based Phase; Mittelwert ±95% KI).

Die moderierenden Faktoren zeigen niedrige bzw. keine Korrelation mit den HZK1/2.

Die Überprüfung der Machbarkeit der Studie zeigte, dass insgesamt 66% auch an M5 wieder erfasst werden konnten. Die Compliance der Probanden in der Intervention  war in der center-based Phase hoch (90% absolvierten 6-9 von 9 Einheiten) und reduzierte sich in der home-based Phase (58% absolvierten 18-27 von 27 Einheiten). Von den 12 möglichen Schwierigkeitslevels der Trainingsintervention erreichten ca. 1/3 der Probanden das 12. Level und 2/3 maximal Level 4 bis 11. Insgesamt konnten von den an M1 erfassten Probanden noch ≈66%  an M5 wieder erfasst werden.

Diskussion

Die multicenter-Studie konnte positive Interventionseffekte auf die Hauptzielkriterien zeigen. Obwohl eine relevante Reduktion der Probanden mit hohen Rückenschmerzwerten (HZK1: Korff Grad ≥2) durch die Intervention erfolgte, war dies nicht über eine statistische Signifikanz abzusichern. Die relativ kleine Anzahl der Probanden mit initial hohen Schmerzgraden kann hierfür maßgeblich sein. Die nachweisbaren funktionalen Effekte (HZK2) scheinen sich stärker auf die posturale Kontrolle und die Maximalkraft des Rumpfes, dagegen schwächer auf die komplexe Sprungkraftleistungsfähigkeit auszuwirken. Die spezifische Übungsauswahl und Durchführung der Intervention (moderate Geschwindigkeit) könnte hierfür ausschlaggebend sein.

Zusammenfassend wird jedoch das theoretische Konstrukt der neuronalen Adaptation (sensomotorisches Training) zur Prävention/Rehabilitation von Rückenschmerzen durch die Ergebnisse gestützt (6). Zu diskutieren ist dabei der mögliche Einfluss unterschiedlicher Ausgangswerte zwischen den drei Gruppen (KG, SMT, SMT+VT) an M1 auf die Ergebnisse. Außerdem weisen die erfassten Variablen eine hohe Variabilität auf, die die Heterogenität der untersuchten Probanden wiederspiegelt. Eine zusätzliche zielgruppenadäquate (z.B. Leistungssportler/Allgemeinbevölkerung) Differenzierung des Interventionsprogrammes (aktuell: 12 Schwierigkeitslevel + Zusatzlasten) scheint nicht durch die Ergebnisse gestützt

Zusammenfassung

Die Machbarkeit einer multizentrischen klinischen Interventionsstudie zur Prävention bzw. Rehabilitation von Rückenscherzen im Leistungssport und der Allgemeinbevölkerung scheint gegeben. Aufgetretene Limitationen konnten identifiziert werden und Einfluss in die Planung/Umsetzung einer multizentrischen Folgestudie finden. Die inhaltliche Betrachtung der Ergebnisse zeigt außerdem die positive Beeinflussbarkeit von Rückenschmerzen und der neuronalen Adaptation durch ein kombiniert center-/home-based durchgeführtes sensomotorisches Training mit und ohne verhaltenstherapeutischen Maßnahmen.

Literatur

  1. Choi BK, Verbeek JH, Tam WW, Jiang JY. Exercises for prevention of recurrences of low-back pain. In: 2010, p. CD006555.
  2. van Tulder MW, Malmivaara A, Esmail R, Koes BW. Exercise therapy for low back pain (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4, 2003. Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd.
  3. Wang X-Q, Zheng J-J, Yu Z-W, Bi X, Lou S-J, et al. (2012) A Meta-Analysis of Core Stability Exercise versus General Exercise for Chronic Low Back Pain. PLoS ONE 7(12): e52082. doi:10.1371/journal.pone.005208.
  4. Mannion AF, Caporaso F, Pulkovski N, Sprott H. Spine stabilisation exercises in the treatment of chronic low backpain: a good clinical outcome is not associated with improved abdominal muscle function. Eur Spine J (2012) 21:1301–1310, DOI 10.1007/s00586-012-2155-9
  5. Kamper SJ, Apeldoorn AT, Chiarotto A, Smeets RJ, Ostelo RWJG, Guzman J, van Tulder MW. Multidisciplinary biopsychosocial rehabilitation for chronic low back pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 9. Art. No.: CD000963. DOI: 10.1002/14651858.CD000963.pub3Kamper 2014
  6. Borghuis J, Hof AL, Lemmink KA. The importance of sensory-motor control in providing core stability: implications for measurement and training. Sports Med. 38:893-916, 2008.

Kontaktadresse [stellvertretend für die Prüfzentren, s. Autoren]

Prof. Dr. Frank Mayer
Universität Potsdam – Professur für Sportmedizin & Sportorthopädie
Am Neuen Palais 10 Haus 12
14469 Potsdam