Mechanische Wirbelsäulenbelastung

Mechanische Wirbelsäulenbelastung

PSA11: Quantitative Analyse der mechanischen Belastungen von Wirbelsäule, Rücken, Rumpf in verschiedenen Sportarten

Dr. K. Heinrich1, J. Funken1, D. Fett2, K. Trompeter2, Prof. Dr. P. Platen2 & Prof. Dr. G.-P.Brüggemann1

1Sporthochschule Köln, Institut für Biomechanik und Orthopädie

2Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Sportmedizin und Sporternährung

 

Einleitung & Problemdarstellung

Die mechanischen Belastungen der Wirbelsäule, die während spezieller sportartspezifischer Bewegungen auftreten, werden als mögliche Ursache für Rückenschmerzen diskutiert [1, 2]. Die Kinematik und Kinetik der Wirbelsäule ist im Sport noch weitgehend unerforscht. In diesem Zusammenhang können Bewegungsanalysen die Quantifizierung der Wirbelsäulenkinematik und-kinetik ermöglichen.

Methodik

Es erfolgten Bewegungsanalysen von sportartspezifischen Bewegungen in verschiedenen olympischen Sportdisziplinen. Die Quantifizierung der mechanischen Belastung und Bewegung der Wirbelsäule erfolgte mittels kinematischer 3D-Bewegungsanalyse. Folgende Abschnitte der Wirbelsäule wurden hinsichtlich der Drehmomente untersucht: obere BWS (Th1), untere BWS (Th10) und LWS (L5). Die Probanden/innen wurden hierzu am Körper mit 70 lichtreflektierenden Markern versehen. Die  sportartspezifischen Bewegungen wurden von zehn Infrarotkameras aufgezeichnet. Die Datenaufnahme erfolgte mithilfe des Motion-Capture Systems Vicon Nexus. Mithilfe des digitalen Menschmodells Alaska-Dynamicus (insys GmbH) wurden die Bewegungen und die Belastungen der Wirbelsäule berechnet.

Ergebnisse

Sprungsportarten: Die Sprungsportarten sind durch sich wiederholende dynamische Absprung- und Landebelastungen gekennzeichnet. In diesen Sportarten liegen die Belastungen in Abhängigkeit von der Disziplin und der Wettkampfs- bzw. Trainingsdauer im hochdynamischen Bereich. Insbesondere die starke Lordose der lumbalen Wirbelsäule beim Hochsprung birgt ein hohes potentielles Risiko für Rückenschmerz. Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung der Drehmomente während der Absprungphase um L5. Je nach Ausführung kann das L5-Segment mit 2-4 Nm/kg in der Sagittalebene, mit 2-3,5 Nm/kg in der Frontalebene und 1-1,5 Nm/kg in der Transversalebene belastet werden.

Sportspiele: Die Sportspiele Handball, Fußball, Basketball, Hockey und Volleyball weisen durch ihr hohes Spieltempo, Krafteinwirkungen, Richtungswechsel und wiederholte sportartspezifische Bewegungsformen wie Sprünge oder problematische Körperhaltungen (z.B. Flexion der Wirbelsäule beim Hockey, Halswirbelsäulenextension beim Korbleger im Basketball, Rotation und Extension der Wirbelsäule bei Würfen) ein hohes potentielles Risiko für Rückenschmerzen auf. In der Spielsportart Volleyball konnten die größten Zwischenwirbelkräfte im Bereich der lumbalen Wirbelsäule in proximo-distaler Richtung gefunden werden. Die Bewegungen „tiefes unters Zuspiel“ und „Angriffsschlag“ konnten als besonders belastend identifiziert werden. Exemplarisch zeigt Abbildung 1 den Druckkraft-Verlauf während des Angriffsschlags.

Abbildung 1: Ermittelte Druckkraftwerte während des Angriffs (N=1). Bereich (A) Stemmschritt und Absprung, (B) Flugphase, (C) Landephase und Aufrichten in den Stand

Wurfsportarten: Der Körper und die Wirbelsäule werden stark einseitig belastet. Gerade während der Abwurfphase befindet sich die Wirbelsäule gleichzeitig in Lateralflexion, Extension und Rotation. Die Wirbelsäule ist hierbei asymmetrischen mechanischen Belastungen ausgesetzt. Zur Realisierung einer maximalen Abwurfgeschwindigkeit befindet sich das Achsenskelett am Ende der Ausholbewegung in einer starken Bogenspannung mit kombinierter Verwringung zwischen Oberkörper und Becken, welche sich als Hyperextension der Lendenwirbelsäule sowie Lateralflexion und Rotation zur Wurfseite auswirkt. Hochbelastend ist vor allem das Kugelstoßen. Hierbei wird eine starke Verwringung der Wirbelsäule hervorgerufen. Vorwiegend tritt hier eine starke Wirbelsäulenbelastung während der Stoßphase um L5 auf. Je nach Ausführung kann das L5-Segment mit 2,5-4,0 Nm/kg in der Sagittalebene, mit 1,5-2,5 Nm/kg in der Frontalebene und mit 0,5-1,0 Nm/kg in der Transversalebene belastet werden. Eine Besonderheit beim Kugelstoßen stellt die Trainingsform „Schocken“ (Rückwärts) dar. Dabei wird die Kugel rückwärtig mit beiden Händen über Kopf bei gleichzeitiger starker Extension der Wirbelsäule geworfen. In dieser Situation konnten sehr hohe Belastungen aller drei Wirbelsäulensegmente Th1, Th10 und L5 vor allem in der Sagittalebene beobachtet werden. Sagittal: Th1: 1,5-2,5 Nm/kg, Th10: 2,5-3,0 Nm/kg, L5: 3,5-4,5 Nm/kg.

Laufsportarten: Diese zyklischen Sportarten sind durch sich ständig wiederholende dynamische Körperbewegungen gekennzeichnet. In diesen Sportarten werden die Bewegungen in Abhängigkeit von der Disziplin und der Wettkampfs- bzw. Trainingsdauer zum Teil bis zu mehreren Stunden durchgeführt. Insbesondere bei hochdynamischen Sprintsportarten treten hohe Belastungen vor allem in der Sagittalebene der Wirbelsäule auf. Während des Sprintstarts konnten Belastungen von 2,0-3,0 Nm/kg um Th10 und 4-5 Nm/kg um L5 beobachtet werden.

Diskussion

Unter Berücksichtigung von Literaturwerten für die maximal von einem Wirbelkörper tolerierbare Kraft und der Annahme einer relativ hohen Knochendichte bei Athleten, liegen die ermittelten Zwischenwirbelkräfte wahrscheinlich in einem tolerierbaren Bereich. Aus der Literatur ist weiterhin bekannt, dass nicht nur hohe Maximalkräfte sondern auch relativ geringe Kräfte mit hoher Wiederholungszahl zu Ermüdungsbrüchen im Knochen führen können. Da z.B. Volleyball eine Sportart ist, bei der eine große Anzahl Vertikalsprünge absolviert wird, sollte die Gesamtbelastung während einer Trainingseinheit in die weitere Forschung zum Thema Rückenschmerz im Volleyball miteinbezogen werden. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Trainingsprotokolle, die große Umfänge an Vertikalsprüngen beinhalten, nur dosiert eingesetzt werden sollten.

References

  1. Alyas F, Turner M, Connell D. MRI findings in the lumbar spines of asymptomatic, adolescent, elite tennis players. British Journal of Sports Medicine. 2007;41:836-41; discussion 841. doi:10.1136/bjsm.2007.037747.
  2. Campbell A, Straker L, O’Sullivan P, Elliott B, Reid M. Lumbar loading in the elite adolescent tennis serve: link to low back pain. Medicine and Science in Sports and Exercise. 2013;45:1562–8. doi:10.1249/MSS.0b013e31828bea5e.
  3. Belavy DL, Albracht K, Bruggemann G-P, Vergroesen P-PA, van Dieen JH. Can Exercise Positively Influence the Intervertebral Disc? Sports Med. 2016;46:473–85. doi:10.1007/s40279-015-0444-2.

Kontaktadresse [stellvertretend für die Autoren]

Prof. Dr. Gert-Peter Brüggemann
Institut für Biomechanik und Orthopädie
Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln